„Die Jugend von heute liebt den Luxus, hat schlechte Manieren und verachtet die Autorität. Sie widersprechen ihren Eltern, legen die Beine übereinander und tyrannisieren ihre Lehrer.“ Eine Aussage, die so zeitlos anmutet, dass es direkt überrascht, dass sie von Sokrates (470–399 v. Chr.) stammt. Es wird also klar, dass zu jedem Zeitpunkt der Geschichte über den Nachwuchs geschimpft wurde. Wie also geht man mit den Jugendlichen von heute um, damit aus ihnen der zahntechnische Nachwuchs von morgen wird? Ztm. Haristos Girinis und seine Auszubildende Jenny Albrecht plaudern hier aus dem Nähkästchen.
dentaldigital: Lieber Haristos, wie kam es dazu, dass du eine Auszubildende genommen hast?
Haristos: Gründe dafür gibt es viele, ganz wichtig war mir vor allem, mein Wissen weitergeben zu können und so das Handwerk „Zahntechnik“ zu vermitteln. Außerdem bedeutete das für mich eine komplett neue Erfahrung, da ich bisher ganz alleine in meinem Labor arbeitete. Bei Jenny war es auch der menschliche Faktor, der mir die Entscheidung erleichterte, doch einmal auszubilden. Jenny nimmt mir inzwischen einiges an Arbeit ab – nicht nur im praktischen, zahntechnischen Bereich, sondern auch auf die allgemeine Labororganisation bezogen.
dentaldigital: Liebe Jenny, erlaube mir die Frage: Warum gerade Zahntechnik?
Jenny: Ich kenne keinen anderen Beruf, bei dem man mit so kleinen und grazilen Arbeiten etwas so Großes erreichen kann, wenn man das Ergebnis als Ganzes betrachtet. Ich hatte den Wunsch, den Patienten zu mehr Lebensqualität zu verhelfen oder ihnen diese sogar ganz zurückzugeben. Schließlich gibt es nichts Ansehnlicheres als eine tolle Ausstrahlung bei einem Menschen – und dabei spielt vor allem das Lächeln eine sehr bedeutende Rolle.
dentaldigital: Wo lagen für euch anfängliche Schwierigkeiten – eigene und im Miteinan- der?
Haristos: Darin, eine Basis zu schaffen, quasi ein gesundes Miteinander sowie Füreinander, insbesondere bezogen auf meinen eigenen Anspruch, damit man den Weg gemeinsam gehen kann. Ich musste mein Anspruchsdenken und meine Vorstellungen in Einklang mit einer anderen Persönlichkeit bringen – das war zunächst gar nicht so einfach. Außerdem mussten wir beide lernen, eindeutig miteinander zu kommunizieren und Kritik so zu äußern, dass es den anderen voranbrachte und keine neuen Hemmungen förderte. Das war manchmal schon schwierig, denn Jenny musste auch lernen, dass die von mir an sie erteilten Aufgaben keine Möglichkeit, sondern eine Pflicht waren. Aber als das alles überwunden war, wurde uns schnell klar, wie sehr wir voneinander profitieren können.
Jenny: Für mich war es nicht leicht, mich mit einer neuen Person in meinem Umfeld auseinanderzusetzen und mit dieser „warm“ zu werden. Auch anfängliche Selbstzweifel musste ich ablegen und versuchen den Erwartungen von Haristos gerecht zu werden. Allerdings sage ich auch heute immer noch, dass das wohl fast unmöglich ist. Er verlangt unheimlich viel – nicht nur von mir, sondern auch von sich selbst. Aber das musste ich eben erst einmal lernen. Anfänglich war es für mich besonders schwierig, mich selbst einzuschätzen: Wo steh ich? Wie gut bin ich? Habe ich Talent? Dafür ist die Schule auf jeden Fall eine wichtige Anlaufstelle, da man sich dort mit den anderen Auszubildenden vergleichen und austauschen kann.
dentaldigital: Wie hat sich das alles bis heute entwickelt?
Haristos: Im Allgemeinen war es ein recht steiniger Weg, was definitiv auf die individuellen Charaktere von uns beiden zurückzuführen ist. Heute kann ich ihr allerdings ruhigen Gewissens Aufgaben übergeben und habe dann definitiv den Kopf frei davon. Dabei merkt man dann auf jeden Fall, dass die Grenzen manchmal relativ schnell erreicht sind, was je nachdem auf den Charakter oder die bisher erarbeiteten Fertigkeiten zurückzuführen ist. Aber die eigene Entwicklung ist ein stetiger Prozess und es ist erstrebenswert, diesen Prozess perspektivisch in Gang zu halten, sodass ich als Zahntechniker und Arbeitgeber mein Wissen und mein Aufgabenfeld vertrauensvoll in Jennys Hände legen kann, ohne mir einen Kopf darüber machen zu müssen, ob alles gelingen wird.
dentaldigital: Wie sieht es mit Fortbildungen aus?
Haristos: Während ihrer Ausbildung waren das in erster Linie die überbetrieblichen Ausbildungen bei der Handwerkskammer. Diese empfinde ich als sehr wichtig, damit sie auch mal einen Tapetenwechsel hat, andere Erfahrungen sammelt und sich mit Gleichgesinnten austauschen kann. Nebenbei lernt sie, sich selbst einzuschätzen, und sieht, was alles schieflaufen kann. Dadurch macht man sich so Gedanken, wie man im eigenen Betrieb vorankommt. Zudem bin ich selbst Ausbilder und Referent – da war und ist es für mich selbstverständlich, dass auch Jenny in den Genuss von Fortbildungen kommt.
dentaldigital: Wie förderst du deine Auszubildende?
Haristos: Da wir beide alleine im Labor und somit frei von Ablenkungen durch andere sind, erhält sie eine individuelle und intensive Betreuung bei den einzelnen Arbeitsschritten. Wir alle wissen ja, dass Azubis oft nur nebenherlaufen und auf Botengänge geschickt werden. Das wollte ich bewusst anders und deshalb durfte Jenny schnell nicht nur Reparaturen erledigen, sondern richtige Arbeiten erstellen. Ich wollte ihr alles mitgeben, damit sie zu einem Allroundtechniker wird und so das volle Spektrum zahntechnischer Aufgabengebiete bedienen kann.
dentaldigital: Und wie gut fühlst du dich gefördert?
Jenny: Das ist leicht: Sehr gut! Ich bin mir des Luxus absolut bewusst, den ich als einzige Auszubildende im Labor genieße. Haristos hat mich stets hervorragend betreut und gefördert. Ich bekam von Anfang an sehr viel gezeigt und gleichzeitig viel Zeit zum Üben. Für mich ist „Learning by Doing“ sehr wichtig, denn nur vom Zuschauen und Zuhören wird man kein guter Zahntechniker. Ich durfte so gut wie alle überbetrieblichen Ausbildungen wahrnehmen, was auch nicht immer selbstverständlich ist. Dadurch konnte ich andere Eindrücke sammeln und mir auch andere Meinungen anhören. Verbesserungsfähig wäre auf jeden Fall noch die Kritikerteilung. Es ist zwar wichtig, konstruktiv zu urteilen, aber für mich als Auszubildende ist es genauso wichtig, Positives hervorgehoben zu bekommen, damit ich auch Erfolge erkennen und genießen kann.
dentaldigital: Wie geht es für dich nach der Ausbildung weiter?
Jenny: Ich möchte auf jeden Fall in der Zahntechnik bleiben und versuchen, mich da weiterzuentwickeln, denn es wird mich auch in Zukunft nicht erfüllen, auf der Stelle zu stehen und jeden Tag das Gleiche zu machen, ohne für mich selber einen Entwicklungsprozess wahrzunehmen. Ein ganz wichtiger Punkt, den ich von Haristos gelernt habe, da er mir das wirklich jeden einzelnen Tag vorgelebt hat. Trotzdem bin ich eine Frau und als Frau steht man dann irgendwann gefühlt erst einmal vor der Entscheidung „Karriere oder Familie“. Allerdings würde ich tatsächlich behaupten, dass man sich in der Zahntechnik eigentlich nicht entscheiden muss. Es ist definitiv beides unter einen Hut zu bekommen – auch wenn Zahntechnik ein sehr zeitintensiver und zeitgebundener Beruf ist. Wenn man sich zu organisieren weiß, dann ist es durchaus möglich, Familie und Beruf unter einen Hut zu bekommen.
dentaldigital: Was wollt ihr den Kollegen und Kolleginnen mit an die Hand geben?
Jenny: Man sollte aufhören in Selbstmitleid zu versinken, sondern sich ausschließlich mit seiner Leistung in den Vordergrund drängen. Mir wurde bereits während meiner Ausbildung bewusst, dass einem alle Türen offenstehen, wenn man ein Ziel erreichen möchte und von allen Seiten Unterstützung erhält. Es ist nicht nötig, als, ich sag jetzt mal übertriebene Emanze aufzutreten und zu betonen, dass man als Frau in einem Männerberuf agiert. Das stimmt meiner Meinung nach nämlich gar nicht. Natürlich bin ich eine Frau und darf da auch ruhigen Gewissens als Frau auftreten, ohne mich selbst zurückzustellen oder zurückstellen zu lassen. Jeder muss selbst aktiv werden, um seine Zukunft zu formen. Schließlich funktioniert es nur miteinander und wir sollten aufhören, gegeneinander zu arbeiten. Das ist es doch, was diesen Beruf so schön macht. Ich habe zu jedem Zeitpunkt meiner Ausbildung die Bestätigung erhalten, dass immer nur die Leistung zählt – aber nie nur das Geschlecht.
dentaldigital: Wo seht ihr die wichtigsten Voraussetzungen, um in der Zahntechnik voran zu kommen?
Haristos: In erster Linie braucht es die optimalste Ausbildung, um die Grundpfeiler des Handwerks in der Zahntechnik zu setzen. Das natürlich auf einer gesunden Basis, sodass dann kontinuierlich darauf aufgebaut werden kann. Es bedarf einer nötigen Demut, einer Bereitschaft und eines Willens, sich stetig weiter- und fortzubilden und den Wissensdurst immer aufrecht zu erhalten sowie sich selbst immer wieder zu reflektieren und seine Arbeiten zu hinterfragen.
dentaldigital: Wie ist das mit der Chancengleichheit? Gibt es die? Seht ihr da Grenzen?
Jenny: Wenn es Grenzen gibt, dann sind es die eigenen, die einem im Weg stehen könnten. Natürlich gibt es, wie schon erwähnt, eine biologische Hürde, da sich für Frauen irgendwann die Familienfrage stellen wird. Da wird dann oft überlegt, ob Familie oder Karriere oder sie müssen sich einen Weg suchen, wie sie beidem gerecht werden können. Sicherlich ist das eine Aufgabe, vor der manche Frauen einfach Angst haben, aber ich bin davon überzeugt, dass beides möglich ist.
dentaldigital: Was wünscht ihr euch für die Zukunft und wie sehen eure Pläne für die Zukunft aus?
Haristos: Wir wünschen uns, dass trotz der Digitalisierung die Grundzüge des analogen Handwerks nicht verlorengehen und uns die Zahntechnik als Handwerksberuf auch noch viele, viele Jahre erhalten bleibt, damit Menschen individuelle Zähne bekommen. Für uns bedeutet das vor allem: Handgefertigt und keine Kronen per „Click&Collect“ aus der Maschine. Nur dann wird uns der Beruf Zahntechniker lange erhalten bleiben.